Bisher kannte ich Patagonien aus diversen Dokumentarfilmen und Berichten. Nun sitze ich hier Puerto Montt, mein Velo schwer beladen und überlege, ob ich wohl alles dabei habe, was ich in den nächsten Wochen auf der Carretera Austral benötige.
Eine Eisenplastik erinnert an die ersten deutschen Einwanderer von 1852
Die Carretera ist eine Traumstrecke für Reiseradler. Sie führt über rund 1200 km durch eine einmalig schöne Landschaft: Seen, Flüsse, Fjorde, Regenwald, Berge, Gletscher. Man kann nie voraussagen, was einem hinter der nächsten Kurve oder dem nächsten Hügel erwartet.
Etwa 20% der Strecke sind geteert, der Rest ist Naturstrasse, mal grob geschottert, mal feiner Kies, je nachdem was die Strassenbauer in der Nähe gerade fanden.
Während der ersten Tage machen mir die Hügel etwas zu schaffen und so sind die zwei Ueberfahrten mit Fähren eine angenehme Abwechslung. Die zweite Fahrt dauert 6 Stunden und bringt mich nach Caleto Gonzalo, dem Eingang des Park Pumalin. Dieser Park ist das größte private Naturschutzgebiet der Welt. Er gehört dem Amerikaner Douglas Tomkins, dem ehemaligen Besitzer der Modefirma „Esprit“. Inzwischen wurde das Gebiet als Nationalpark anerkannt.
6 Stunden Fahrt mit der Fähre, danach durch den Regenwald des Park Pumalin
Nach einem Ruhetag mit einer Wanderung im Regenwald, geht die Fahrt durch den Naturpark Pumalin. Es giesst immer wieder in Strömen. Dies war allerdings für einige Wochen der letzte Regentag. Täglich treffe ich auf andere Reiseradler aus allen Gegenden der Welt. Es gibt dann jeweils einen kurzen Austausch über Routen und was einem alles so erwartet. Besonders lohnenswerte Ziele und Unterkunftsmöglichkeiten werden so weitergegeben.
Für meine Uebernachtungen suche ich jeweils ein Zimmer in Pensionen (Hospedajes) oder Hotels, wenn es welche gibt. Dort wo die Ortschaften sehr weit auseinander liegen, kommt das mitgeführte Zelt zum Einsatz. In Puyuhuapi, welches 1935 von sudetendeutschen Einwanderern gegründet wurde, übernachte ich in der Casa Ludwig, einem Herrschaftshaus aus den Gründertagen. Die Hausherrin, zwar hier in Chile geboren, begrüsst mich überraschend in perfektem Hochdeutsch.
Mein Zimmer in Villa Santa Lucia und ……. der Aufenthaltsraum in der Casa Ludwig in Puyuhuapi
Nach einiger Zeit habe ich mich daran gewöhnt, dass die Sonne im Norden steht und dass ihr Lauf (zwar auch von Ost nach West) auf der Südkugel für den Betrachter im Vergleich zu Europa aber entgegengesetzt ist. In der 2. und 3. Woche stieg das Thermometer bis auf 28 Grad, was für diese Region sehr warm ist.
Bis Coyhaique, der ersten Stadt seit Puerto Montt, fahre ich durch einsame Täler, kreuze viele Bäche, die eiskaltes Gletscherwasser führen und schiebe mein Velo die steilsten Passagen hoch. Verkehr hat es praktisch keinen. Vielleicht alle viertel Stunde ein Auto.
Immer wieder überraschende Szenenwechsel prägen die eindrückliche Landschaft
Nach Coyhaique ist die Strasse für 100 km geteert, was zusammen mit Rückenwind ein flottes Tempo ermöglicht. Am Schluss des Tages überquere ich noch den Ibanez-Pass (1100m), den höchsten Punkt meiner Reise.
Die Verkehrsdichte sinkt auf ein Auto je Stunde. Die Strasse folgt verschiedenen Flüssen, die sich jeweils auf der ganzen Breite des Tales durch die Landschaft mäandern. Während einigen Kilometern ist die Strasse glatt, keine Steine oder Kies. Es ist festgefahrene Asche eines verheerenden Vulkanausbruches im Jahr 1991, der auf einem grossen Gebiet auch Wälder zerstört hat. Zwei Tage fahre ich entlang des grössten Sees Patagoniens, der in Chile „Lago General Carerra“ und in Argentien „Lago Buenos Aires“ heisst. Dem See entfliesst der Rio Baker, der wasserreichste Fluss Chiles, der teilweise in tiefen Schluchten durch eine eindrückliche Landschaft führt. In ganz Patagonien versuchen Naturschützer den Bau von neuen Wasserkraftwerken in dieser einmaligen Gegend zu verhindern.
Auf und ab entlang des Lago General Carerrea … … und hoch über dem Rio Baker
Auch wenn man sich oft abseits jeder Zivilisation glaubt, finden sich entlang der ganzen Carretera immer wieder Estancias und kleinere Bauernhöfe.
In Cochrane kann ich ein letztes Mal meine Vorräte ergänzen, bevor es weiter Richtung Süden geht. Ab hier ist die Strasse eine Sackgasse von beachtlichen 220 km Länge. Ich teile die Strecke in 3 Tagesetappen und zelte abends jeweils in der Nähe der Strasse. Der Michell Fjord wird auf einer Fähre überquert, die dreimal täglich fährt. Das letzte Stück der Carretera führt durch eine total wilde und raue Gegend. Mit viel Rückenwind erreiche ich rund drei Wochen nach meinem Start Villa O’Higgins, ein Ort am Ende der Welt, der von der Regierung massiv unterstützt und gefördert wird, weil er nur 2 km neben der Grenze zu Argentinien liegt.
Einsamkeit pur auf dem letzten Stück der Carretera
Die „Endstation“ Villa O’Higgins
Hier ruhe ich mich einige Tage aus und gehe mehrmals in die öffentliche Bibliothek, wo sich der einzige „offizielle“ Internet-Anschluss des Ortes befindet, der zudem kostenlos benutzt werden kann.
Während für den motorisierten Verkehr die Strasse einige Kilometer hinter Villa O’Higgins endet, gibt es für Trekking-Begeisterte und Velofahrer eine Fortsetzung, die seit einigen Jahren als „Geheimtipp“ gehandelt wird.